MGV “Liedertafel”

Geschichte der „Liedertafel“ Rahden

Am 29. April 1887 wurde die Gründung des Rahdener Traditionschores „Liedertafel“ der wohllöblichen Polizeibehörde mitgeteilt.

Sangesfreudige Rahdener gründeten die „Liedertafel“, elf Männer schlossen sich spontan an und am 30. April 1887 hat das Amtsgericht Rahden den Verein im Register aufgenommen. Gründungs- und anschließend auch Vereinslokal war das Hotel Wolter („Hotel zum deutschen Kaiser“) und die Übungsabende wurden donnerstags von 20.30 bis 22.30 Uhr festgesetzt, wie der junge Verein der örtlichen Polizeibehörde mitteilte.

Wer in den Chor aufgenommen werden wollte, musste das schriftlich beim ersten Vorsitzenden beantragen. Binnen 14 Tagen wurde dann eine Versammlung einberufen.  Der Chorleiter unterzog den Bewerber einer Stimmprobe, anschließend stimmten die Sangesbrüder in geheimer Entscheidung über die Aufnahme des Kandidaten ab. Dabei kam bei der „Liedertafel“ eine sogenannte „Ballotage“ zur Anwendung. Jedes stimmberechtigte Mitglied erhielt eine schwarze und eine weiße Kugel und musste diese in die schwarzen oder weißen Fächer eines Ballotage-Kastens ablegen. Erfolgte das farbenverkehrt, bedeutete das Ablehnung. Aufgenommen in die „Liedertafel“ wurde, wer zwei Drittel aller Stimmen erhielt. Während der Abstimmung wartete der Aspirant vor der Tür und wurde, als das Ergebnis feststand, vom Liedervater herein geholt und freudestrahlend über die Aufnahme informiert. Das neue Mitglied musste eine Mark als Eintrittsgeld in die Chorkasse einzahlen und tat gut daran, bei den Chorproben dabei zu sein, und zwar pünktlich. Andernfalls waren fünf Pfennig Strafgebühr fällig. Wer unentschuldigt fehlte, zahlte zehn Pfennig, über die Entschuldigung entschied der Vorstand. Die Beträge waren damals nicht unerheblich unter der Berücksichtigung, dass der Stundenlohn seinerzeit bei etwa 30 Pfennig lag. Das Ballotage-Verfahren wurde noch bis in die 1960er Jahre angewendet.

Die „Liedertafel“ entwickelte sich schnell zu einem Pfeiler des kulturellen Lebens in Rahden. Schon zwei Jahre nach Gründung feierte die „Liedertafel“  ihr  erstes Stiftungsfest im Hotel Wolter, mit Konzert und anschließendem Ball.

Ein öffentliches Benefizkonzert gab die „Liedertafel“ 1891 für das Gesundheitswesen in Rahden, 1892 wurde das Stiftungsfest als Kostümball gefeiert.

Die Sänger waren sehr standesbewusst. Sie konnten zwar Gäste einladen, die für 50 Pfennig die Tribüne nutzen durften, nicht aber gemeinsam mit den Sängern den Saal.

Die Liedertafel sang zu Kaisers Geburtstag, am Sedan-Tag oder auch zur Einweihung der Bahnstrecke Bünde – Rahden. Die „Liedertafel“ bekam Konkurrenz durch andere Gesangvereine, etwa den älteren und schon 1873 gegründeten Männergesangverein Rahden, den 1899 gegründeten Männergesangverein „Quartettverein“ oder den 1904 gegründeten MGV „Fraternitas“ und den 1920 ins Leben gerufenen MGV „Deutsche Eiche“. Geblieben ist aber über die Zeit nur die „Liedertafel“. Die überstand den ersten Weltkrieg.

In den 1920er und 1930er Jahren fuhren die Rahdener zu Sängerbundesfesten nach Wien, Frankfurt und Breslau.

Nach dem zweiten Weltkrieg waren die Chorkonzerte und Sängerbälle Höhepunkte im gesellschaftlichen Leben in Rahden. Manche werden sich noch an die Auftritte der „5 Spatzen“ bei geselligen Veranstaltungen erinnern, die mit ihren Liedern die Gäste begeisterten. Damit griffen die Stimmungskanonen der „Liedertafel“ Rahdener Begebenheiten auf und sorgten mitunter noch Tage später für Stadtgespräche.

Jubiläumsveranstaltungen wurden im Verlauf der Jahrzehnte nicht ausgelassen. Z.B. 60 Jahre „Liedertafel“ Rahden, die Mitgliederanzahl ist dermaßen gestiegen, dass das Übungslokal zu klein wurde und die Aktiven von Schwettmann in das Hotel Braun umziehen musste. Das 75-jährige Jubiläum 1962 war Anlass, das Bezirkssängerfest auszurichten, an dem alle Chöre des Bezirkes Lübbecke teilnahmen. In den 1970er Jahren sind diverse erfolgreiche Veranstaltungen der „Liedertafel“ Rahden notiert: Teilnahme am 100-jährigen Bestehen des Kyffhäuserbundes, 85er Jahrestag der „Liedertafel“ Rahden, Stadtwerdung des Amtes Rahden 1973, Konzertnachmittage gemeinsam mit der Kapelle Rose (125-jährige Bestehen) sowie Teilnahme an Kirchenkonzerten. Einer der Höhepunkte im Jahrzehnt war sicher die gemeinsame Veranstaltung mit allen Rahdener Chören, die vom WDR aufgenommen und vom Heeresmusikkorps 11 aus Bremen umrahmt wurde. 1976 nahmen die Rahdener Sänger am 17. Chorfest des Deutschen Sängerbundes in Berlin teil.

Zur 100-Jahr-Feier 1987 gab die Combo der Big Band des Luftwaffenmusikkorps 3 in Münster den musikalischen Rahmen und im März des Jubiläumsjahres fuhren die Aktiven nach Hamburg wo dem Chor die Zelterplakette verliehen wurde, eine Auszeichnung wie sie nur aktiven Chören ab 100-jährigem Bestehen zu Teil wird.

Im Jahr 2002 hat die „Liedertafel“ Rahden anlässlich der Ausschreibung des Kulturpreises des Kreises Minden-Lübbecke in Hille teilgenommen. Das monatelange Proben und Lampenfieber am Tag des Auftritts hat sich gelohnt: der Vortrag wurde durch die Jury auf den ersten Platz gesetzt!

Sich verändernde Arbeitswelten, zunehmende Mobilität und damit besser erreichbare Live-Events, Fernsehen und vieles andere sind Ursachen dafür, dass die älter werdenden Aktiven weniger bis keinen Nachwuchs mehr bekommen. So drohte der Chor in einigen Stimmlagen zu schrumpfen, dass er nicht mehr singfähig wäre. Das brachte den Vorstand der „Liedertafel“ dazu, sich mit den Verantwortlichen des benachbarten MGV Haldem zusammen zu setzen, der ähnlich Probleme hatte. Bereits im Jahr 2006 wurden verschiedene Übungsabende zusammengelegt, sogar am Bezirkssängerfest in Lübbecke hat ein gemeinsamen Auftritt stattgefunden, letztlich kam es nach einigem hin und her noch nicht zu einem Zusammenschluss. Die Situation der Singfähigkeit der einzelnen Chöre aber blieb, so dass letztlich im Jahr 2008 doch beschlossen wurde, eine Chorgemeinschaft mit dem MGV Haldem einzugehen, d.h. beide Chöre bleiben selbständig mit eigenem Vorstand und haben mit Oliver Sablottny einen Chorleiter. Gesungen wird normalerweise im wöchentlichen Wechsel in Rahden bzw. Gebiet Haldem, z.Z. wegen eines fehlenden Übungslokals aber ausschließlich in Rahden . Im Jahr 2016 ist wegen Auflösung der Männerchöre in Lübbecke und Kleinendorf auch Verstärkung aus diesen Chören der Chorgemeinschaft hinzugestoßen.

Aktuelle Situation seit Januar 2020:

Der MGV „Liedertafel“ Rahden hat sich im Jahresverlauf 2019 dazu durchgerungen, den Verein aufzulösen. Der Entschluss wurde anlässlich der Jahreshauptversammlung im Januar 2020 bestätigt. Alle Aktiven des Vereins sind aber überzeugte Sänger, so haben sie sich dem Männergesangverein Haldem angeschlossen, mit welchem die „Liedertafel“ seit dem Jahr 2008 eine Chorgemeinschaft  bildete. Das hat zur Folge, dass die Chorgemeinschaft Rahden-Haldem zwar aufgelöst wurde, der MGV Haldem aber die 17 Aktiven aus Rahden in ihren Reihen aufnehmen konnte und somit weiterhin singfähig bleibt. Gesungen wird nach wie vor in Rahden, der Vorstand wurde z.T. erneuert. Nun gehören auch Mitglieder der ehemaligen „Liedertafel“ dazu.